Julie Reisserová, Vítězslava Kaprálová, Dora Pejačević und Elizabeth Maconchy: vier Komponistinnen, deren Musik im Eröffnungskonzert der Reihe „Frauen in der Musik“ erklingt. Alle diese Komponistinnen sind nicht nur durch ihre Beziehung zum tschechischen Kulturmilieu miteinander verbunden, sondern auch durch ihren Beitrag zum Kampf für die Rechte der Frau in der entstehenden neuen sozialen und politischen Ordnung Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Im Zentrum steht die in mehreren Fächern begabte Julie Reisserová (geborene Kühnelová, 1888–1938). Sie begann ihr Studium im Jahre 1919 in Prag bei Josef Bohuslav Foerster und setzte es dann in Paris bei Albert Roussel fort. An dessen Lehrmethoden erinnerte sie sich 1937 in einem Vortrag für den Bund österreichischer Frauenvereine in Wien: „Ich werde die Stunden bei Roussel nie vergessen, weil ich gerade damals verstanden habe, was die notwendigen Voraussetzungen der reinen Kunst sind, die ewig gültigen Gesetze, denen jeder Künstler fast instinktiv folgt, egal in welche Richtung er geht. Regeln, die sowohl für klassische als auch für moderne Kunst, Revolutionäre und Traditionalisten gleichermaßen gelten.“ Julie Reisserová war nicht nur eine vielversprechende Komponistin, sondern auch literarisch begabt und hatte hervorragende Kenntnisse mehrerer Sprachen. Als Ehefrau des tschechischen Diplomaten Jan Reisser referierte sie regelmäßig über das Musikleben im Ausland für die Zeitung Lidové noviny und die Zeitschrift Tempo. Im Rahmen von Musica non grata werden erstmals seit Jahrzehnten ihre kammermusikalischen und Orchesterwerke wieder aufgeführt, dies im Zusammenhang mit der neuen kritischen Edition ihrer Werke von Jean-Paul Montagnier für den Verlag Ries & Erler. Das Pastorale maritimo und die Suite kehren so nach fast 90 Jahren auf das Konzertpodium zurück!
Dem Schaffen der in Brünn geborenen Komponistin und Dirigentin Vítězslava Kaprálová (1915–1940) hat Musica non grata bereits mehrfach seine Aufmerksamkeit gewidmet. Im Zuge des Eröffnungskonzerts erklingen ihr Liederzyklus Sbohem a šáteček (Winkend Abschied nehmen) op. 14 nach Gedichten von Vítězslav Nezval (interpretiert vonn Kateřina Kněžíková), die Mitte der 1930er-Jahre in der Meisterklasse Vítězslav Nováks am Prager Konservatorium entstandene Suite en miniature und die durch tschechische Volkslieder und Tänze inspirierte, im Auftrag des Londoner Zweigs der Universal Edition im Jahre 1938 komponierte Suita rustica.
Wie Vítězslava Kaprálová war auch der in Budapest geborenen Komponistin Dora Pejačević (1885-1923) nur ein kurzes Leben beschieden. Ihr Schaffen der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts trägt Merkmale der Spätromantik. Zu dieser Zeit hatte die junge Komponistin oft Böhmen besucht, vor allem ihre enge Freundin Sidonie Nádherná von Borutín auf Schloss Vrchotovy Janovice. Im Hintergrund ihrer Besuche stand wahrscheinlich auch Sidonies Bruder Jan, angeblich eine große Liebe von Dora. Pejačević unterhielt enge Kontakte mit tschechischen Künstlerinnen und Künstlern, darunter der Violinvirtuose Jaroslav Kocián, dem sie einige ihrer Werke zugedacht hatte. Auch Vítězslav Novák, für den sie großen Respekt und Bewunderung empfand, ist Widmungsträger einiger Kompositionen.
„Hätten wir es dir gegeben, hättest du nur geheiratet und nie wieder eine Note geschrieben,“ erinnerte sich die britische Komponistin Elizabeth Maconchy (1907-1994) an eine Diskussion mit Sir Hugh Allen, dem Dekan des Royal College of Music, nachdem ihr Ende der 1920er-Jahre das Mendelssohn-Stipendium verweigert worden war. Doch die talentierte Musikerin, Schülerin von Ralph Vaughan Williams, bewies ihre Hartnäckigkeit und erhielt nur wenig später, im Jahre 1929, das Octavia Travelling Scholarship, das ihr ein Studium im Ausland ermöglichte. Maconchy hatte Prag gewählt, eine Stadt, die für sie Anfang der 1930er-Jahre eine der fortschrittlichsten europäischen Musikstädte war. Sie wurde Schülerin von Karel Boleslav Jirák und erwarb hier ihre erste öffentliche Anerkennung: Am 19. März 1930 wurde unter der Leitung ihres Lehrers und mit Erwin Schulhoff am Klavier ihr Klavierkonzert aufgeführt. Im Publikum war auch Ralph Vaughan Williams anwesend, der mit Begeisterung schrieb: „Sie brachten den ersten und den dritten Satz (die schnellen Sätze) erstaunlich gut heraus; und sie ließen den zweiten Satz fast so schön klingen, wie er ist; ich denke, der zweite Satz ist eines der schönsten Dinge, die ich je gehört habe [...]. Die Komponistin, die von sich selbst sagte, dass für sie „die beste Musik ein leidenschaftlicher Streit“ sei und als deren Kopist u. a. Benjamin Britten fungierte, hatte sich den damaligen Geschlechtervorurteilen widersetzt und zählt heute zu den angesehensten und bedeutendsten Komponisten in der Geschichte der britischen Musik – . 1987 wurde sie zur Dame of the British Empire ernannt.