Sancta Susanna
Musik: Paul Hindemith (1895–1963)
Libretto: August Stramm (1874–1915)
Es war im Juni 1921, als in Stuttgart die Uraufführungen zweier Einakter des damals 25-jährigen in Hanau geborenen Paul Hindemith einen Skandal hervorgerufen haben: Mörder, Hoffnung der Frauen (1919) nach einem Theaterstück von Oskar Kokoschka, und Das Nusch-Nuschi (1920) nach einem Libretto von Franz Blei. Eine ähnliche Reaktion folgte der Uraufführung von Sancta Susanna am 26. März 1922 in Frankfurt, ebenfalls einem Einakter, der nach einem Libretto von August Stramm in zwei Wochen an der Wende von Januar und Februar 1921 komponiert wurde. Das Werk, in dem eine Nonne ihren erotischen Fantasien erliegt und von der Gemeinschaft der Ordensschwestern gnadenlos verdammt wird, ist eine Auseinandersetzung des Komponisten mit dem Expressionismus, nicht nur, was das Sujet betrifft, sondern auch die musikalischen Mittel, die die Grenzen der Tonalität angreifen. Der Kritiker und Ästhetiker Theodor W. Adorno hat im Jahre 1922 über das Werk geschrieben: „Es ist bewundernswert, wie Hindemith hier, in dem reifsten seiner Bühnenwerke, zugleich thematisches Drängen des Orchesterstroms und weitbogige Gesangsmelodien, Schwüle der Frühlingsnacht und Wucht der Katastrophe aus dieser einen, zu sinnlichplastischer Konkretheit geronnenen Grundkraft gewinnt, die ihm unter den Händen zum Symbol des Triebhaften überhaupt geriet.“
Die Handlung erzählt die Geschichte der jungen Nonne Susanna, deren erotische Fantasien von der Legende von einem Mädchen im Gewand Evas erweckt werden, das in der Nacht, als „Der Nachtwind sang und die Blüten schlugen“, das Bild Christi am Kreuz umgearmt und geküsst hat und wegen ihrer Gotteslästerung lebendig begraben wurde. Aufgeregt öffnet Susanna vor dem Altar ihr Gewand und nimmt ihre Haube ab. Eine große schwarze Spinne fällt ihr ins Haar. In Trance weist sie den Aufruf der Ordensschwestern zur Reue zurück und fordert sie auf, ihr das gleiche Schicksal zu bereiten: „Hinter dem Hofe liegen Steine! Ihr sollt mir die Mauer richten!“
Die Uraufführung der Oper Sancta Susanna hat in Frankfurt der künftige Schwiegervater Hindemiths, der Dirigent Ludwig Rottenberg, einstudiert. Fritz Busch, der die Uraufführung der beiden Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen und Das Nusch-Nuschi in Stuttgart dirigiert hatte, hat sich diesmal geweigert, die Oper wegen ihres blasphemischen Inhalts aufzuführen. Alexander Zemlinsky hat am Neuen deutschen Theater in Prag alle drei Einakter am 3. März 1923 erstaufgeführt, die Regie hatte Louis Laber. Die Staatsoper Prag wird eine konzertante Aufführung von Sancta Susanna anbieten, im deutschen Original mit tschechischen Untertiteln und unter der Leitung von Karsten Januschke, der seine Erfahrungen an der Wiener Staatsoper, am Theater an der Wien, an der Los Angeles Opera und bei den Bayreuther Festspielen gesammelt und derzeit erfolgreiche Debüts an der Bayerischen Staatsoper und an der Semperoper Dresden hinter sich hat.
Eine florentinische Tragödie
Musik: Alexander Zemlinsky (1871–1942)
Libretto: Max Meyerfeld (1875–1940) nach einer Vorlage von Oscar Wilde (1854–1900)
Eine florentinische Tragödie gehört zu den bemerkenswertesten Opernwerken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was bereits die Uraufführung am 30. Januar 1917 in Stuttgart angedeutet hat. Die Kritiker haben damals das Werk als ein „glutvolles Tongemälde, das es in dieser Art seit Strauss’ Salome nicht mehr gegeben habe“ bezeichnet. Oscar Wilde (nebenbei der Autor der dramatischen Vorlage zur Salome) hat sein Drama Eine florentinische Tragödie im Jahre 1893 begonnen; wir betonen „begonnen“, weil von dem geplanten abendfüllenden Theaterstück lediglich der 1. Akt existiert. Die Vollendung wurde durch eine zweijährige Haft- und Zwangsarbeitsstrafe verhindert, zu der Wilde wegen seiner Affäre mit Alfred „Bosie“ Douglas verurteilt worden war.
Das Fragment hat seinerzeit mehrere große Persönlichkeiten der Musik gereizt, beispielsweise Giacomo Puccini, Ferruccio Busoni oder Sergei Prokofjew für seine Oper Maddalena (1911). Für Zemlinsky stellt diese Vorlage eine Abkehr von der Märchenthemen seiner ersten drei Opern: Sarema (1897), Es war einmal (1900) und Der Traumgörge (1905–1906) dar. Das sechzigminütige Renaissance-Fresko über Eifersucht, dessen Hauptdarsteller der Kaufmann Simone, seine Frau Bianca und ihr Geliebter, der junge Florentiner Herzog Guido Bardi sind, ist voll von dramatischen Situationen, einer Spannung, die bis an Horror grenzt, und bietet eine vielleicht etwas überraschende Auflösung.
Interessanter Weise hat die Rolle des Guido Bardi bei der Stuttgarter Uraufführung der im nordböhmischen Brüx/Most geborene Rudolf Ritter gesungen. Den Simone hat der deutsche Bariton Felix Fleischer-Janczak verkörpert, seine Frau Bianca die angesehene Wagner-Heroine Helene Wildbrunn. Am Neuen deutschen Theater hat Alexander Zemlinsky Eine florentinische Tragödie am 4. März 1917 in der Regie von Fritz Bondy erstaufgeführt. Von hier ging der Weg des Werkes an die Wiener Hofoper, wo es am 27. April 1917 aufgeführt wurde. Zemlinsky hat später noch einmal auf einen Text Wildes zurückgegriffen, und zwar in seiner Oper Der Zwerg, der als Vorlage die Erzählung Der Geburtstag der Infantin gedient hat. Eine florentinische Tragödie wird konzertant im deutschen Original mit tschechischen Untertiteln aufgeführt werden.