Der einzige Sohn des aus Jihlava/Iglau stammenden Maximilian Ullmann und der Wienerin Malwine, geb. Billitzer, wurde am 1. Januar 1898 im heutigen polnischen Cieszyn geboren und am 27. Januar getauft. Die Eltern, beide jüdischer Herkunft, waren im Jahre 1895 im Gebetshaus der Jüdischen Gemeinde in Wien vermählt worden. Maximilian Ullmann konvertierte im folgenden Jahr mit Rücksicht auf seine militärische Laufbahn in der österreichisch-ungarischen Armee zum Katholizismus, und die Ehe wurde katholisch bestätigt. Das eintönige Leben in Schlesien, wohin Ullmanns Vater für längere Zeit zu verschiedenen Militäraufgaben abkommandiert wurde, war für Malwine Ullmann zu langweilig, sodass sie mit ihrem Sohn im Jahre 1909 nach Wien übersiedelte. Dort besuchte Viktor bis 1916 das Gymnasium. Gleichzeitig lernte er Klavier bei Eduard Steuermann (1892–1964) und ab 1914 Musiktheorie und Komposition bei Josef Polnauer (1888–1969), einem Schüler Arnold Schönbergs (1874–1951). Über die frühe Jugend und musikalische Ausbildung Ullmanns gibt es sonst nur wenig Belege; nur ein Dokument aus dem Gymnasium verrät, dass er im Jahre 1915 ein Schulorchester dirigierte. Auf dem Programm standen Werke von Mozart, Schubert und Johann Strauss d. J.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bestand Ullmann die so genannte „Kriegsmatura“ meldete und sich im Mai 1916 als Freiwilliger. Zuerst diente er in der Garnison in Wien, dann wurde er an die Front versetzt und überlebte eine der brutalsten Schlachten am Isonzo. Er wurde ausgezeichnet und 1918 zum Leutnant ernannt. Auch während des Krieges versuchte er zu komponieren. Er war ständig am kulturellen Leben im Hinterland interessiert, wie seine im Jahre 1998 gefundenen Briefe belegen, die er an seine damalige Freundin Anna Wottitz nach Wien geschrieben hatte. Von seinen Frühwerken, meistens Lieder, ist nichts erhalten geblieben. Nach zwei Jahren im Militärdienst kehrte Ullmann nach Wien zurück und ließ sich auf Wunsch seiner Eltern als Jurastudent an der Universität Wien inskribieren. Der Musik blieb er treu: Er trat in das Privatseminar Arnold Schönbergs ein, das er bis Frühling 1919 besuchte, und erneuerte die Lektionen bei Eduard Steuermann. Er war zudem ein Gründungsmitglied von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen.
Prag 1920–1927
Im Jahre 1919 brach Ullmann das Universitätsstudium ab. Er heiratete seine Kollegin aus dem Schönberg-Seminar, Martha Koref, und übersiedelte – vielleicht, um der sich verschlechternden familiären Situation zu entkommen – mit ihr nach Prag. Die lange Trennung und die Kriegsereignisse beeinflussten die Beziehung der Eltern, die sich 1920 scheiden ließen. Der Vater kehrte nach Hause als Kriegsinvalide, für seine militärischen Verdienste wurde er in den Adelsstand erhoben, die Adelstitel wurden jedoch bald nach dem Zerfall Österreich-Ungarns abgeschafft. Ullmann spiegelte diese Tatsache später ironischerweise mit seiner Unterschrift auf einer seiner Theresienstädter Kompositionen „Victoire Baron de Tannfels“ wider. Im Jahre 1920 wurde Ullmann als Chormeister und Korrepetitor an das Neue deutsche Theater in Prag engagiert, wo er unter der Leitung von Alexander Zemlinsky (1871–1942) eine gründliche Praxis erwarb. Im Jahre 1922 wurde er Zweiter Kapellmeister – eine Position, die er bis 1927 inne hatte. Seine erste selbständig einstudierte Oper war Mozarts Singspiel Bastien und Bastienne. Auch studierte er die Uraufführung der Oper Jugunde von Robert Konta ein, dirigierte sie und war 1922 zudem an der tschechoslowakischen Erstaufführung von Schönbergs Gurre-Liedern beteiligt. Als Chormeister arbeitete er mit dem Deutschen Männergesangsverein, war im Prager Zweig von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen tätig, auch im Literarisch-künstlerischen Verein, der ab 1924 als deutsche Subsektion der tschechoslowakischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) bestand, sowie im Deutschen musikpädagogischen Verband. In diesen Jahren erlebte er viele Uraufführungen in Prag, darunter die Aufführung von Bruchstücken aus der Oper Wozzeck von Alban Berg (1885–1935) beim Philharmonischen Konzert des Neuen deutschen Theaters im Jahre 1925 und im Rahmen des Prager Teils des IGNM-Festivals im selben Jahr sowie die Erstaufführung dieser Oper in tschechischer Sprache unter dem Titel Vojcek am Nationaltheater im Jahre 1926. Es waren Erlebnisse, die zur Grundlage seiner lebenslangen Bewunderung für diesen Komponisten wurden.
Neben seiner Tätigkeit am Neuen deutschen Theater komponierte Ullmann: In dieser Zeit entstanden seine Sieben Lieder (1923), das Streichquartett Nr. 1 (1923), das Oktett (1924), die Bühnenmusik zum Drama Der Kreidekreis von Klabund (1924) und die erste Fassung von Variationen und Doppelfuge über ein kleines Klavierstück von Arnold Schönberg (1925). Alle dieser Werke gelten heute als verschollen. Die zweite Fassung der Schönberg-Variationen aus dem Jahre 1929 ist als Abschrift erhalten geblieben. Vier Jahre danach entstand die Orchesterfassung, die im Jahre 1934 den Emil-Hertzka-Gedächtnispreis erhielt. Aufgrund der ersten Kompositionserfolge wurde Ullmann ein Stipendium der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in der Tschechoslowakei erteilt.
Variationen und Doppelfuge über ein kleines Klavierstück von Arnold Schönberg brachten Viktor Ullmann seinen ersten größeren internationalen Erfolg. Die Orchesterfassung des Werkes hat 1934 den Emil-Hertzka-Gedächtnispreis erhalten. Klavier: Günther Herzfeld
Ein Jahr in Nordböhmen
Im Jahre 1927 ging Alexander Zemlinsky nach Berlin. Auch Viktor Ullmann verließ das Neue deutsche Theater. In der Saison 1927/1928 war er Opernchef in Ústí nad Labem/Aussig. In einer einzigen Spielzeit führte er sieben Produktionen auf: Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor, Verdis Troubadour, Strauss’ Ariadne auf Naxos, Jonny spielt auf von Krenek, Smetanas Der Kuss (die erste Oper eines tschechischen Komponisten auf dieser Bühne), Mozarts Die Hochzeit des Figaro und Wagners Tristan und Isolde. Mit seinen Ansprüchen an den Betrieb und an die materielle Versorgung der Oper geriet er jedoch in Konflikt mit der Stadtverwaltung, woraufhin er nach einem Jahr resignierte. Er kehrte nach Prag zurück und lebte ohne Engagement als freier Komponist. Im Jahre 1929 erlebte er mit der zweiten Fassung seiner von Franz Langer gespielten Schönberg-Variationen seinen ersten größeren internationalen Erfolg beim Festival der IGNM in Genf.
Am Kreuzweg
Die Zeit zwischen 1929 und 1931 war für Ullmann künstlerisch sehr erfolgreich, gleichzeitig erlebte er aber auch eine geistige und intellektuelle Krise. Im Jahre 1930 ging er nach Zürich, wo er eine Saison am Schauspielhaus als Komponist der Bühnenmusik und Kapellmeister wirkte. Hier schrieb er die heute ebenso verschollene Bühnenmusik zum Drama Franz Werfels Das Reich des Gottes in Böhmen über die letzten Stunden des Lebens des Hussitenführers Prokop. In Zürich unterzog er sich einer Psychoanalyse und setzte seine Erkundung verschiedener esoterischer Erkenntniswege fort, darunter das I-Ging, Freimaurer-Rituale sowie die Anthroposophie des österreichischen Philosophen und Wissenschaftlers Rudolf Steiner (1865–1925), der er bereits im Jahre 1919 in Wien begegnet war, sie damals jedoch noch abgelehnt hatte. Unter dem Einfluss des tschechischen Komponisten Alois Hába (1893–1973) begann er sich am Ende der 1920er Jahre wieder mit Ideen Steiners zu beschäftigen. Dieser Lehre, die zum „Bewusstsein des eigenen Ich“ führen soll, verfiel er endgültig, als er den Sitz der Internationalen Anthroposophischen Gesellschaft (Goetheanum in Dornach bei Basel) besuchte. Unter dem Einfluss dieser neuen Erfahrungen trat er im Jahre 1931 der Anthroposophischen Gesellschaft der Tschechoslowakischen Republik bei; für die folgenden zwei Jahre gab er sogar die musikalische Laufbahn auf, um die anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart (Novalis-Bücherstube), die er gekauft hatte, betreiben zu können.
Trotz des Misserfolgs seines Unternehmens, der ihn nach seinen eigenen Worten „zurück zur Musik geführt hat“, war Ullmanns Aufenthalt in Deutschland in den Jahren 1931–1933 eine wichtige Etappe für seine Selbsterkenntnis. Er lernte den Philosophen Hans Büchenbacher (1887–1977) und einen den ersten deutschen Tibetologen Hermann Beckh (1875–1937) kennen, beide bedeutende Persönlichkeiten der anthroposophischen Lehre in Deutschland, und weitere Anthroposophen wie den Musikwissenschaftler Erich Schwebsch (1889–1953). Auch erneuerte er den Kontakt mit dem Komponisten und Pianisten Felix Petyrek (1892–1951), Musikprofessor an der Stuttgarter Musikakademie, den er bereits seit seinen Wiener Studienjahren kannte. Auch in seinem Privatleben traten grundlegende Veränderungen ein: Seine erste Ehe mit Martha Koref ging in die Brüche (am 16. April 1931 erfolgte die Scheidung), am 8. September desselben Jahres heiratete er Anna, geb. Winternitz, die Tochter eines Professors an der Deutschen Universität in Prag. Im Jahre 1932 wurde der Sohn Max geboren.
Die Rückkehr nach Prag
Im Jahre 1933 kehrte Ullmann nach Prag zurück. Der Hauptgrund für sein plötzliches Verlassen Deutschlands war jedoch nicht die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, sondern die Tatsache, dass wegen der Schulden, die er im Zusammenhang mit dem Kauf und dem Betrieb der Novalis-Bücherstube gemacht hatte, ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. In Prag fand er jedoch keine feste Einstellung. Er komponierte, dirigierte und war als Privatlehrer tätig. Im Rahmen seiner Berufsaktivitäten hielt er zudem in der von Leo Kestenberg (1882–1962) gegründeten Gesellschaft für Musikerziehung Vorträge und verfasste einige Artikel und Besprechungen für die Zeitung Bohemia, die Zeitschriften Der Auftakt, Tempo (Listy Hudební matice), Volk und Kultur und Goetheanum. Nach seiner Rückkehr nach Prag begann er mit den Arbeiten an der Oper Der Sturz des Antichrist nach dem gleichnamigen Drama des anthroposophischen Schriftstellers Albert Steffen (1884–1963). Das im Jahre 1935 vollendete Werk erhielt 1936 den Emil-Herztka-Gedächtnispreis, die Jury bildeten Alexander Zemlinsky, Ernst Krenek, Egon Wellesz, Karl Rankl und Lothar Wallerstein. Die Pläne für eine Aufführung der Oper scheiterten jedoch. Die Uraufführung fand erst im Jahre 1995 in Bielefeld statt, die tschechische Erstaufführung im Jahre 2014 in Olomouc.
Im Jahre 1935 hat Viktor Ullmann die Oper Der Sturz des Antichrist vollendet. Sie handelt von einem allmächtigen Regenten, der vom Künstler, dessen Geist über den Körper siegt, zum Sturz gebracht wird. Auf die Uraufführung musste die Oper 60 Jahre warten. 3. Akt, „Bericht des Abendblatts“, Bielefelder Philharmoniker, Dirigent Rainer Koch
Im Jahre 1935 meldete sich Ullmann für den zweijährigen Kurs der Mikrointervallmusik bei Alois Hába am Prager Konservatorium an, den er mit der Sonate für Vierteltonklarinette und Klavier abschloss. In einem Schreiben an Hába erwähnt er noch ein Sechsteltonwerk, über das jedoch nichts weiteres bekannt ist. Zu den Kompositionen dieser Periode gehören die Klaviersonate Nr. 1, Sechs Lieder für Sopran und Klavier Op. 17 nach Texten von Albert Steffen und das verschollene Streichquartett Nr. 2.
Im August 1937 zeigten sich bei Ullmann dann die ersten Anzeichen einer psychischen Erkrankung (Symptome einer Schizophrenie), die möglicherweise auf eine von seiner Mutter geerbte Veranlagung zurückzuführen sind oder auf sein intensives Studium esoterischer und okkulter Literatur sowie seine beträchtliche Arbeitsbelastung. Er verbrachte kurze Zeit in den Sanatorien Gnadenwald und Hall in Tirol, ohne dass Besserung eintrat. Im Dezember 1937 kam er in die Heilanstalt Wiesneck in Freiburg im Breisgau, wo er die Behandlung jedoch auf eigenen Wunsch abbrach. Im Rahmen der Therapie entstand seine Sammlung anthroposophischer Gedichte und Aphorismen Der fremde Passagier. Tagebuch in Versen. Viele Jahre lang wurde die Sammlung fälschlicherweise als Teil seines Theresienstädter Schaffens betrachtet.
Sechs Lieder nach Texten von Albert Steffen hat Ullmann „Meiner lieben Frau Annie“ gewidmet. Am 13. Mai 1937 fand in Prag ihre Uraufführung statt. Das Lied Nr. 1 „An Himmelfahrt“, Christine Schäfer (Sopran), Axel Bauni (Klavier)
In der Falle: Prag 1938–1942
In der Atmosphäre zunehmender politischer Spannungen und Ängste versuchte Ullmann, Ausreisevisa für seine Frau Annie, die Söhne Max und Johannes sowie Tochter Felicia zu beschaffen. In Briefen an Freunde und Kollegen bat er um Hilfe, überlegte verschiedene Möglichkeiten, bis er im April 1939 zwar einen neuen Pass hielt; doch die Auswanderung bedurfte weitere Genehmigungen der Protektoratsbehörden. Im letzten Moment gelang es, nur die beiden jüngeren Kinder Johannes (geb. 1934) und Felicia (geb. 1936) über die Grenze zu bringen. Sie gehörten zu den Kindern, die Nicholas G. Winton aus der bedrohten Tschechoslowakei gerettet hat.
Ullmann komponierte auch in dieser schweren Zeit weiter, gab in den ersten Kriegsjahren einige seiner Werke im Selbstverlag heraus. Seine persönliche Lage wurde jedoch immer schwieriger. Im Jahre 1940 starb seine Mutter, die ihre letzten Jahre in Prag verbracht hatte. Den Drang der Ereignisse hatte auch die zweite Ehe Ullmanns auf Dauer nicht ertragen. Zwar wurde im November 1940 der Sohn Paul geboren, im August 1941 kam es jedoch zur Scheidung. Ullmann, der seit 1919 in Prag als österreichischer Staatsbürger gelebt hatte, war nun als „ledig“ von der Deportation besonders bedroht. Mitte Oktober wurde bekannt, dass die Protektoratsverwaltung eine Liste für ungefähr fünf Transporte von ledigen und staatenlosen Juden aus Prag vorbereitete, die in das Ghetto in Łódź/Litzmannstadt deportiert werden sollten. Um der erwarteten Deportation in letzter Minute zu entgehen, heiratete Ullmann am 15. Oktober 1941 seine neue Lebensgefährtin Elisabeth Frank-Meissl. Vor der Deportation nach Litzmannstadt schritt schließlich die Jüdische Kultusgemeinde in Prag ein und stellte ihm den erforderlichen Personalausweis aus, der ihn für den Moment vor dem Transport gerettet hatte. Dieser Schutz war jedoch nur vorübergehend, und ein Jahr darauf, am 8. September 1942, wurden Ullmann und seine Frau Elisabeth nach Theresienstadt deportiert. Er vollendete noch seine Oper Der zerbrochene Krug nach Heinrich Kleist (1777–1811), die auf ihre Uraufführung bis zum Jahre 1975 warten musste. Auch weitere zwischen den Jahren 1938–1942 komponierte Werke, unter ihnen die Slawische Rhapsodie und das Klavierkonzert, blieben unaufgeführt. Seine gedruckten Werke, das Autograph der Oper Der Sturz des Antichrist und das Tagebuch in Versen „Der fremde Passagier“, übergab Ullmann seinem Freund, dem Komponisten Alexander Waulin (1894–1976), zur Aufbewahrung.
Der Einakter Der zerbrochene Krug scheint nicht den Schatten seiner Entstehungszeit zu tragen. Das schöne achtminütige, atmosphärische Vorspiel mit markanter Fanfare macht fast ein Viertel dieser vierzigminütigen Oper aus. Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Dirigent Gerd Albrecht, 1994
Ghetto Theresienstadt 1942–1944
In Theresienstadt schrieb Ullmann über 20 Werke: drei Klaviersonaten, ein Streichquartett, Bearbeitungen jüdischer Lieder für Chor, die Bühnenmusik für Theateraufführungen, den Operneinakter Der Kaiser von Atlantis und 1944 sein letztes Werk – das Melodram nach Rainer Maria Rilkes (1875–1926) Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Er war auch als Pianist, Dirigent, Musikkritiker und Lektor tätig und Leiter des Studios für Neue Musik. In dieser Funktion setzte er sich für Werke seiner Mithäftlinge ein, u. a. die Komponisten Pavel Haas, Hans Krása, Gideon Klein und Siegmund Schul. Ullmanns 26 Rezensionen der musikalischen Veranstaltungen in Theresienstadt, die als Teil seiner dortigen Aktivitäten entstanden sind, belegen das bewundernswerte Musikleben im Lager. In Theresienstadt hatte Ullmann auch zum ersten Mal jüdische Themen verwendet: in seinen Chören nach hebräischen Texten und in seiner letzten Klaviersonate Nr. 7. (Er war katholisch getauft, bei seiner ersten Vermählung hat er sich als religionslos angegeben, 1930 hatte er sich zum Protestantismus bekannt).
Am 16. Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo er zwei Tage später, am 18. Oktober in der Gaskammer ermordet wurde. Auch das Leben seiner drei Ehefrauen hat in Konzentrationslagern geendet: Martha Koref (02.11.1894 –?.10.1942) in Treblinka, Anna Winternitz (06.05.1907–23.10.1944) und Elisabeth Frank-Meissl (27.09.1900–18.10.1944) in Auschwitz. In Auschwitz wurde auch der älteste Sohn Max am 23.10.1944 ermordet, der jüngste, Paul, starb in Theresienstadt im Januar 1943.
Aufnahme des letzten Werkes von Viktor Ullmann – Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke nach der Erzählung von Rainer Maria Rilke – in einer Bearbeitung von Bernd Thewes für Rezitator und Kammerensemble. Stefan Merki (Rezitation), Jewish Chamber Orchestra Munich, Dirigent: Daniel Grossmann.
Das musikalische Vermächtnis
In einem Brief an seinen Kollegen, den Komponisten Karel Reiner (1910–1979) aus dem Jahre 1938 geht Ullmann auf die Entwicklung seiner Musiksprache ein: Seine Frühwerke, vor allem die erste Fassung seiner Variationen und Doppelfuge über ein kleines Klavierstück von Arnold Schönberg op. 3 aus dem Jahre 1925 seien, was die Harmonik und Struktur betreffe, von Arnold Schönbergs Lehre beeinflusst. Er habe jedoch nie konsequent die Dodekaphonie verwendet. – Seit 1924 hatte er sich allmählich, unter dem Einfluss von Alban Berg, immer mehr von der strengen Schönberg-Schule distanziert. Auch Gustav Mahler und Alexander Zemlinsky hatten auf ihn eingewirkt, die Wiener Atmosphäre insgesamt, in der er aufgewachsen war, und nicht zuletzt das zweisprachige Milieu in Prag, wo er mit den deutschen wie den tschechischen Künstlern verkehrt und mehr als eine Hälfte seines Lebens verbracht hatte. Es ist zudem seine Bewunderung zum Werk von Josef Suk und der Persönlichkeit von Otakar Ostrčil bekannt, besonders dank dessen Einstudierung der tschechischen Erstaufführung des Vojcek (Wozzeck) von Alban Berg im Jahre 1926. Für die zweite Schaffensperiode Ullmanns ist die nach seiner Rückkehr nach Prag im Jahre 1933 komponierte Klaviersonate Nr. 1 von Bedeutung. Er selbst bezeichnete das Werk als charakteristisch für seine „neue Bestrebungen“, für „neue harmonische Funktionen im Rahmen einer Tonalität, die man vielleicht Polytonalität nennen könnte“. Ullmann hatte, wie er im Brief an Reiner schrieb, „nach einem Zwölftonsystem auf tonaler Basis [gestrebt], ähnlich dem Prozess der Verschmelzung von Dur und Moll“. Die letzte schöpferische Periode des Komponisten bilden die zwei Theresienstädter Jahre, wo er seine in den letzten Jahren in Prag erworbene formale und expressive Meisterschaft dazu benutzte, den Anforderungen der Musikkultur im Ghetto gerecht zu werden. In seinem in den letzten Monaten seines Lebens geschriebenen Essay Goethe und Ghetto hatte er bekannt, wie er sich geistig und ästhetisch mit der deprimierten Umgebung von Theresienstadt auseinandergesetzt hatte: „Theresienstadt war und ist für mich Schule der Form. Früher, wo man Wucht und Last des stofflichen Lebens nicht fühlte, weil der Komfort, diese Magie der Zivilisation sie verdrängte, war es leicht, die Form zu schaffen. Hier, wo man auch im täglichen Leben den Stoff durch die Form zu überwinden hat, wo alles Musische in vollem Gegensatz zur Umwelt steht: Hier ist die wahre Meisterschule.“ Ullmann betrachtete – ganz im Sinne der zentralen Figur des Künstlers aus seiner Oper Der Sturz des Antichrist – die Kunst als oberstes Gebot, um die Menschheit zur Menschlichkeit zu erziehen.
Im Einakter Der Kaiser von Atlantis hat sich der Tod entschlossen, der Menschheit eine Lektion zu erteilen, um den Weg zu Liebe und Verständnis wieder zu finden. Gewandhausorchester Leipzig, Dirigent: Lothar Zagrosek.