Gemeinsam mit Richard Strauss (1864–1949), Alban Berg (1885–1935) und Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) gilt Franz Schreker als zentrale Figur der deutschsprachigen Oper in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Sein Kompositionsstil, der Einflüsse aus Romantik, Naturalismus, Symbolismus, Impressionismus, Expressionismus und der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit vereinigt, sein Experimentieren mit Klangfarben und erweiterter Tonalität haben am Anfang des 20. Jahrhunderts zur Entwicklung des Stils beigetragen, den wir heute künstlerische Moderne nennen.
Franz Schreker
Biografie
Wurzeln
Der Vater Ignaz, ein anerkannter Hoffotograf, zu dessen Kunden Kaiser Franz Joseph, Kronprinz Rudolf, die königliche Familie in Brüssel, aber auch viele Künstler, z. B. Franz Liszt, zählten, wurde im böhmischen Goltschjenikau (Golčův Jeníkov) geboren. Die Mutter Eleonore von Clossmann stammte aus einer adeligen katholischen Familie aus der Steiermark. Ignaz Schreker hatte in Pest ein erfolgreiches Atelier aufgebaut, das er 1876 an seinen Sohn aus erster Ehe, Maximilian, übergab. Die Familie wechselte ihren Wohnort mehrmals, lebte in Monaco (wo Franz geboren wurde), Cilli/Celje und Pola/Pula und ab 1881 in Linz. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters im Jahr 1888 siedelte die Mutter mit den Kindern nach Wien über, wo der 14-jährige Franz ab 1892 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde studierte – zuerst Violine bei Ernst Bachrich (1892–1942) und Arnold Rosé (1863–1946), später Komposition bei Hermann Graedener und Robert Fuchs (1847–1927), zu dessen Schülern auch Gustav Mahler (1890–1911), Hugo Wolf (1860–1903), Alexander Zemlinsky und Jean Sibelius (1865–1957) gehörten. Zu dieser Zeit hatte sich Schreker vor allem auf kleinere Formen konzentriert; später soll er gesagt haben, er sei mit Erfolg im Fahrwasser von Brahms geschwommen, um den bissigen Bemerkungen des Kritikers Eduard Hanslick in der Neuen freien Presse vorzubeugen. Die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten, zum Beispiel in Form eines im Jahre 1901 durch die Zeitschrift Neue musikalische Presse vergebenen Preises für sein Intermezzo für Streicher op. 8. Davon ermutigt, begann er 1902 die Arbeit an seiner ersten Oper Flammen nach dem Libretto seiner Freundin Dora Pollak (Pseudonym Dora Leen) und bald darauf an der Oper Der ferne Klang nach einem eigenen Text. Auch für seine weiteren Opern griff er dann in der Regel auf eigene Textvorlagen zurück.
Vom Nichts auf den europäischen Olymp
Nach seinem Abschluss am Konservatorium bemühte er sich um eine feste Dirigentenstelle an einem Opernhaus. In der Saison 1907/08 war er Kapellmeister-Assistent an der Wiener Volksoper. 1907 gründete er den Philharmonischen Chor, der zu einem prominenten Klangkörper für Aufführungen zeitgenössischer Musik in Wien avancierte und, von Schreker bis 1920 geleitet, Werke wie Mahlers Dritte und Achte Symphonie, Zemlinskys Psalm 23 oder Schönbergs Friede auf Erden und Gurre-Lieder aufführte. In dem Chor lernte er auch seine künftige Frau, Maria Binder, kennen, die er 1909 heiratete. Deren beiderseitig von mehreren Liebesaffären begleiteten Ehe entstammten die Tochter Ottilie (1910) und der Sohn Immanuel (1914).
1909 schloss Schreker einen Vertrag mit dem Verlag Universal Edition ab und kehrte zur unterbrochenen Arbeit an seiner Oper Der ferne Klang zurück. Das Zwischenspiel aus dem 3. Akt (Nachtstück) wurde am 25. November 1909 in Wien von dem tschechischen Dirigenten und Komponisten Oskar Nedbal (1874–1930) uraufgeführt. Die Oper, mit der Schreker zu den angesehensten Opernkomponisten seiner Zeit avancierte und die ihm zu einem Lehrauftrag für Komposition an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst verhalf, hatte 1912 in Frankfurt am Main ihre Premiere. Es folgten Aufführungen in München, Hamburg, Leipzig; 1920 wurde die Oper in Prag am Neuen deutschen Theater erstaufgeführt, 1925 in Leningrad.
Auch während der Kriegsjahre setzte Schreker seine Arbeit fort. Er schrieb eine Kammersymphonie und seine erfolgreichen Opern Die Gezeichneten (1913–1915) und Der Schatzgräber (1915–1918); beide wurden unmittelbar nach Kriegsende an der Frankfurter Oper uraufgeführt. Schreker wurde zu einem führenden deutschen Opernkomponisten und mit Richard Wagner verglichen. Der Schatzgräber hat zwischen 1925 und 1932 an die 400 Vorstellungen an mehr als 50 europäischen Bühnen erreicht.
Schreker als Pädagoge
1920 wurde Franz Schreker Nachfolger von Engelbert Humperdinck (1854–1921) als Direktor der Hochschule für Musik in Berlin. Unter seiner Leitung lehrten unter anderem die Pianisten Artur Schnabel (1882–1951) und Edwin Fischer (1886–1960), der Violinist Carl Flesch (1873–1944), der Cellist Emanuel Feuermann (1902–1942) und der Komponist Paul Hindemith (1895–1963). Die Schreker-Klasse bildete das Gegenstück zu jener seines Kollegen Arnold Schönberg (1874–1951), der an der Preußischen Akademie der Künste tätig war. Wie diese suchte auch Schrekers Schule nach einer modernen Musiksprache, verließ die Tonalität dabei jedoch nicht. Im Jahre 1927 eroberte die Oper Jonny spielt auf von Ernst Krenek (1900–1991) Europa, bald danach folgte ein weiterer Schreker-Schüler, Max Brand (1896–1980), mit seinem Maschinist Hopkins (1929). Zu seinen Schülern zählten ferner der mit der Mikrotonalität experimentierende tschechische Komponist Alois Hába (1893–1973), Berthold Goldschmidt (1903–1996), Victor Babin (1908–1972), Jerzy Fitelberg (1903–1951), Wilhelm Grosz (1894–1939), Paul Höffer (1895–1949), Jascha Horenstein (1898–1973), Alois Melichar (1896–1976), Karol Rathaus (1895–1954), Artur Rodziński (1892–1958), Josef Rosenstock (1895–1985), Hans Schmidt-Isserstedt (1900–1973), Herbert Windt (1894–1965) und Grete von Zieritz (1899–2001).
Mutig bis zum Ende
Schreker war als Lehrer erfolgreich. Dennoch kam es schon kurz nach seinem Umzug nach Berlin zu ersten Rückschlägen: Seine Opern Irrelohe (1924) und Der singende Teufel (1928) hatte das Publikum nur lau aufgenommen; auch die Kritik war unzufrieden. Die radikalen jungen deutschen Komponisten hatten die aus der spätromantischen Tradition hervorgegangene Musik bereits als veraltet verstanden. Dazu kamen die Folgen der Wirtschaftskrise und der wachsende Einfluss der Nationalsozialisten, der dazu beitrug, dass die letzte Oper Schrekers, Der Schmied von Gent (1932), nach nur fünf Vorstellungen abgesetzt und die verspätete Premiere der Arnold Schönberg gewidmeten Oper Christophorus (1929) verboten wurde. Trotz dieser misslichen Lage arbeitete Schreker weiter. Er war einer der ersten, die sich in den 1920er-Jahren an der Entwicklung von neuen Aufnahme- und Sendetechnologien im Bereich der klassischen Musik interessierten. 1932 war er zudem künstlerischer Leiter der ersten Lichttonfilme mit den Dirigenten Leo Blech, Fritz Busch, Erich Kleiber, Max von Schillings, Fritz Stiedry und Bruno Walter. Unter seiner Leitung hatte auch die Hochschule für Musik ihr erstes elektroakustisches Studio eingerichtet. Einige Werke hatte Schreker direkt für neue Medien komponiert, z. B. die Kleine Suite für den Rundfunk oder Vier kleine Stücke für den Film.
Der wachsende Antisemitismus zwang Schreker dann jedoch 1932 dazu, als Direktor der Hochschule für Musik zurückzutreten und eine Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste anzunehmen. Doch auch hier wurde er, wie Arnold Schönberg, im Jahr 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen (Schreker war katholisch erzogen worden, sein Vater war Konvertit). Die schleppende Abwicklung seiner unter Zwang veranlassten Pensionierung belastete seinen Gesundheitszustand – verkannt als Komponist und Pädagoge, in Sorge um die materielle Sicherheit seiner Familie und gequält von Gedanken an eine Emigration, erlitt er am Ende des Jahres 1933 einen Herzanfall. Am ersten Frühlingstag, am 21. März 1934, verstarb Franz Schreker in Berlin.
Sein Tod wurde von der Presse kaum zur Kenntnis genommen, nur Anton Webern, Arnold Schönberg und einige Schüler schickten der Familie Kondolenzen. Die letzte „Aufmerksamkeit“ wurde Schreker im Nazi-Deutschland gewidmet, als seine Werke 1938 in die Düsseldorfer Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ aufgenommen wurden. Seine Musik war in Folge jahrzehntelang vergessen. Erst als Der ferne Klang im Jahre 1964 in Kassel neu aufgeführt und 1978 an seinen 100. Geburtstag erinnert wurde, setzte ein neues Interesse am Werk dieser führenden Künstlergestalt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein.
Die Musik
Franz Schreker war seit seiner Jugend von der Beziehung von Harmonie und Klangfarbe fasziniert, was sich vielfach in seinem Werk zeigt. Eng verbunden mit der Ästhetik der Wiener Klassik, knüpfte er in seinen Frühwerken wie viele seiner Zeitgenossen an die Musik von Brahms an. Um die Jahrhundertwende verwendet er dann in seinen Liedern und in der ersten Oper Flammen zunehmend Chromatik und freie Harmonik. In seiner im Auftrag der Tänzerin Grete Wiesenthal (1885–1970) komponierten Pantomime Der Geburtstag der Infantin, die für die Eröffnung der durch die Gruppe um Gustav Klimt (1862–1918) veranstalteten Kunstschau Wien 1908 bestimmt war, verwendete er dann erstmals Harmonik ohne feste tonale Zentren und polytonale Konstruktionen, lange, unsymmetrisch phrasierte Melodien und kühne Kombinationen von Klangfahren. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre sehen wir dann eine weitere Änderung seines Stils: strenger, dissonanter, doch noch immer tonal. In Christophorus parodiert er verschiedene Genres der Zeit: Jazz, populäre Chansons, die Neue Sachlichkeit und radikale Mittel der Avantgarde. Der Charakter seiner letzten Oper Der Schmied von Gent nähert sich der Gattung der „Zauberoper“ an, die im 20. Jahrhundert Jaromír Weinberger (1896–1967) in seiner Oper Schwanda, der Dudelsackpfeifer (1927) wiederbelebt hatte. Im Unterschied zu Weinberger beschäftigt sich die Oper Schrekers mit den Fragen des persönlichen Schicksals und der menschlichen Verantwortlichkeit und stellt den Komponisten somit neben seine Zeitgenossen und ihre ikonischen Werke, Mathis der Maler von Paul Hindemith, Moses und Aron von Arnold Schönberg und Karl V. von Ernst Krenek. Die letzten Werke Schrekers spiegeln die schmerzliche Situation wider, in der er zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gelebt hat.
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