Obwohl Vítězslava Kaprálová heute als die bedeutendste Komponistin der tschechoslowakischen Zwischenkriegszeit gilt, ist sie bei Weitem nicht die erste: Das zeigt Agnes Tyrell (1846–1883), die rund 70 Jahre zuvor ebenso in Brünn geboren wurde und die erste große Komponistin der böhmischen Länder war. Sie war eng mit ihrer Heimatstadt verbunden, aber als Wunderkind und später als Virtuosin auch über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus bekannt. Sie studierte u. a. bei Josef Dachs, Adalbert Pacher und Otto Kitzler, sprach drei Sprachen und stand in Kontakt mit führenden Komponisten ihrer Zeit, darunter Franz Liszt. Zudem war sie eine der ersten Frauen, die vor 1900 Sinfonien schrieben. Lange Zeit galten vor allem die großen Orchesterformen als Domäne der Männer. Wenn Frauen Musik komponierten, dann, so die landläufige Meinung, eher Salonhaftes, etwa Lieder, Pianistisches oder Kammermusik. Nicht so Tyrell, die hochgebildete und belesene Komponistin, deren Oper Bertran de Born 1882 vom Neuen deutschen Theater in Prag abgelehnt wurde, weil die Musik zwar ansprechend sei, das Thema aber nicht. Bis heute blieb sie unaufgeführt. Ihr Gesamtwerk umfasst insgesamt mehr als 300 Kompositionen, von denen Musica non grata einige zur Aufführung gebracht hat.
Agnes Tyrrell
20/09/1846 Brünn,
18/04/1883 Brünn